- Papier: Grundlage zum Schreiben
- Papier: Grundlage zum SchreibenGlatte Steinflächen, weicher Lehm und Platten aus Kupfer oder Bronze zählten zu den ersten Materialien, auf denen Menschen in Bildern und Schriftzeichen die Informationen festgehalten haben, die ihnen wichtig und bewahrenswert erschienen. Vom Schreiben konnte dabei allerdings noch keine Rede sein.Vor etwa 5 000 Jahren entdeckten die Ägypter, dass sich aus dem zu Streifen gepressten Mark der dicken Papyrusstängel eine geeignete Schreibunterlage herstellen ließ. Die Produktion war aufwendig und damit teuer, die dicken Papyrusrollen schwer und unhandlich, doch mangels besserer Alternativen behauptete dieser Exportartikel Ägyptens viele Jahrhunderte seine führende Stellung. Die in Konkurrenz immer wieder zu Schreibzwecken genutzten Tafeln aus Leder, Metall, Holz oder Wachs konnten ihm seinen Rang nicht streitig machen. Das gelang jedoch um 1000 v. Chr. mit nicht gegerbten Häuten junger Rinder, Schafe, Ziegen oder Esel, die geglättet und rechteckig zugeschnitten wurden. Sie ließen sich beschreiben, bemalen und zusammengerollt lagern. Ihre Herstellung für diesen Zweck erreichte um die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. in Pergamon eine Qualität, die der des Papyrus weit überlegen war. Die vom Namen der Hauptstadt des hellenistischen Königreichs abgeleitete Bezeichnung Pergament wurde für Jahrhunderte zum Gattungsbegriff für das gängige, aber teure Material von Schriftstücken.Der Weg des Papiers nach EuropaWegen der hohen Kosten für die technisch und zeitmäßig aufwendige Produktion eignete sich das Pergament aber nicht für die Massenherstellung von Büchern oder Druckschriften. Daher wurde es in Europa bis zum Hochmittelalter meistens nur für einzelne Bibeln, Chroniken oder Urkunden verwendet. Im 12. Jahrhundert konnte man hier jedoch auf das Papier zurückgreifen, das bereits rund 1 000 Jahre zuvor in China entwickelt worden war. Das Herstellungsverfahren ließ sich in Asien so lange geheimhalten, bis es im 8. Jahrhundert die Araber in Samarkand von chinesischen Kriegsgefangenen erfuhren, die damit ihr Leben retten wollten. Über den Orient, Nordafrika und Spanien gelangten diese Kenntnisse durch Vermittlung der Mauren auch ins Abendland. Im spanischen Xativa, dem heutigen San Felipe bei Valencia, damals noch unter maurischer Herrschaft, wurde schon 1074 Papier aus Leinenhadern hergestellt. Eine erste Papiermühle zum mechanischen Zerkleinern der Lumpen ist dort für das Jahr 1144 belegt. Der zweite Weg nach Europa führte für das Papier über Sizilien, wo Roger II. im Jahre 1102 die Errichtung von Papierwerkstätten durch herrscherliches Privileg förderte. Die erste Papiermühle als Ersatz für die mühselige Handarbeit beim Quetschen und Zerstoßen feuchter Stoffreste lässt sich für Italien 1276 in Fabriano in der Provinz Ancona nachweisen. Bis heute ist die kleine Stadt für ihr erlesenes Büttenpapier berühmt. Die älteste französische Mühle dieser Art arbeitete 1338 in La Pielle bei Troyes, und in Deutschland ließ sich der Nürnberger Kaufmann Ulman Stromer seine Ölmühle an der Pegnitz von italienischen Papiermachern und heimischen Handwerkern 1389 zu einer Papiermühle mit zwei Wasserrädern umbauen. Im folgenden Jahr begann er in Ravensburg mit dem Bau einer weiteren Anlage, die 1393 ihren Betrieb aufnahm.Im 15. Jahrhundert gab es dann auch in Straßburg, Regensburg und Lübeck Papiermühlen in entsprechenden Handwerksbetrieben. In Richtung Norden ging die weitere Verbreitung dieser Technik langsamer voran. Die britischen Inseln wurden erst mit mehr als 100 Jahren Verspätung erreicht. Als einer der ersten Papiermacher in England kann der Deutsche Johann Spielmann aus Lindau am Bodensee gelten, der 1585 in Dartford in der Grafschaft Kent eine Papiermühle errichtete und für seine Verdienste um die Herstellung dieses neuartigen Schreibmaterials sogar geadelt wurde. Seine Leistung ehrte der englische Kriegsmann und Dichter Thomas Churchyard in einem langen Gedicht, in dem er auch den besonderen Wert des Papiers betonte.Vom Abfall zum BüttenFür die Papierherstellung waren mehrere Arbeitsgänge erforderlich: Nach chinesischem Vorbild mussten zunächst Bast, Baumwollfasern und Hanf zu einer Masse zerstampft und gemeinsam mit zerkleinerten Lumpen in einer Lauge aus Pflanzenasche zu einem dünnen Faserbrei zerkocht werden. In Mitteleuropa ließ sich die Baumwollstaude aus klimatischen Gründen nicht anbauen. Baumwolle wurde daher in gesponnener Form als Import aus dem Mittelmeerraum für die eigene Herstellung von Textilien genutzt, als Rohstoff zur Papierproduktion war sie zu teuer. Die Verbreitung baumwollener Gewebe legte jedoch den Gedanken nahe, für die Papierherstellung auf abgetragene Kleidungsstücke und Schneiderabfälle aus diesem Stoff zurückzugreifen. Vorteilhaft erwies sich dabei die besondere Struktur des Baumwollgewebes mit seinen kurzen Fasern, die sich in den Stampfen der Mühlen mechanisch gut zerkleinern und anschließend in der Aschenlauge schnell auflösen ließen. Lumpen, auch Hadern genannt, aus Flachs oder Leinen setzten diesen Prozessen aufgrund ihrer wesentlich längeren Gewebefasern erheblich mehr Widerstand entgegen. Wie viele aus dem 14. Jahrhundert erhaltene Urkunden, Briefe und Handschriften belegen, bestand in Deutschland die Masse des Rohmaterials für die Papierherstellung aus den in großen Mengen verfügbaren leinenen Hadern, die dann auch zu reinem Linnenpapier verarbeitet wurden.Der entscheidende Fortschritt bei der Papiererzeugung lag im Verzicht auf pflanzliche Fasern zugunsten der Textilabfälle aus Hadern von Baumwoll- und Leinengeweben. Diese Lumpen wurden nach mehreren Waschgängen, nach Kochen und Bleichen zunächst mit Handmühlen oder mit Stößeln im Mörser, seit dem 12. Jahrhundert dann in den erwähnten Mühlen durch mechanische Werke mit Antrieb über Wasserräder unter Zusatz von Wasser zerkleinert. Dabei entstand ein Brei, der in einen Bottich gefüllt und mit Klebstoff zu einer trüben milchigen Flüssigkeit umgewandelt wurde. Der Papierer schöpfte aus dieser Brühe mit dem als Bütte bezeichneten hölzernen Siebrahmen im gewünschten Blattformat. Dadurch entstand auf dem Sieb nach Ablaufen des Wassers ein Papierbogen, der mit anderen zu einem Stoß zusammengelegt, noch weiter entwässert und anschließend zum Trocknen aufgehängt wurde. Die fertigen Bögen konnten dann beschrieben oder bemalt werden.Das Handwerk der Papiermacher entstand ausschließlich in Städten mit enger Verbindung zum Wasser und zu den verschiedenen Textilgewerben, die mit ihren Abfällen als billige Rohstofflieferanten dienten. Diese Stoffreste reichten aber schon im 14. Jahrhundert für den steigenden Papierbedarf nicht aus. So wurde das Lumpensammeln zu einem einträglichen Gewerbe. Der Senat der Republik Venedig erteilte zum Beispiel 1366 den Papiermühlen von Treviso, das zum venezianischen Machtbereich gehörte, ein entsprechendes Privileg und verbot generell die Ausfuhr von Lumpen und Papierabfällen. Die offenkundig angestrebte Wiederverwendung von Papierresten macht deutlich, dass man bei knappen Rohstoffen schon damals sehr bewusst Recycling betrieb.In Deutschland verfügten nur wenige politisch mächtige Herren über Weitblick in Bezug auf die Förderung der Papierherstellung. Zu ihnen zählte Markgraf Wilhelm I. von Meißen, der dem Benediktinerkloster in Chemnitz 1398 ein entsprechendes Privileg zusprach. Mit dem dank der Mühlen- und Schöpftechnik in beliebigen Mengen herstellbaren Papier war eine wichtige Voraussetzung für die Vervielfältigung gerade auch von Drucken gegeben, worauf sich dann um 1450 auch Johannes Gutenberg stützen konnte.Prof. Dr. Volker Schmidtchen
Universal-Lexikon. 2012.